Sie blickte in den Spiegel. Die Person, die sie dort sah, gefiel ihr nicht.
»So kannst du auf keinen Fall aus dem Haus gehen! Deine Haare sehen mal wieder unmöglich aus, die Hose sitzt gar nicht und passt auch nicht zu deiner neuen Jacke!« Niedergeschlagen verließ sie ihre Wohnung und ging zur Arbeit.
Ihre Chefin begrüßte sie fröhlich und gratulierte ihr zu einer gelungenen Präsentation: »Die Kunden waren begeistert!«
Ihr fiel es schwer, das Kompliment anzunehmen. Noch lange hatte sie am Vortag über die Präsentation nachgedacht und sich dabei im Nachhinein doch sehr an einigen Formulierungen gestoßen. Wie konnte ihre Chefin die Unzulänglichkeiten nicht bemerkt haben? Wahrscheinlich tat sie nur begeistert, um sie aufzumuntern.
Mittags war sie mit einem Freund verabredet.
»Du siehst toll aus«, sagte er.
»Das meinst du nicht ernst«, antwortete sie.
»Schau dir doch mal meine Augenringe an, ich werde alt!«
Er beteuerte hingegen, dass sie wirklich gut aussehe in ihrer neuen Jacke.
Am Abend hatte sie mit ihrer Mannschaft ein Hockeyspiel. Sie fühlte sich ein wenig müde und war deshalb in einigen Situationen unkonzentriert. Wütend knallte sie ihren Schläger auf den Boden, als sie gegen Ende des Spiels eine hundertprozentige Chance nicht verwandeln konnte. Trotzdem wurde sie von ihrer Trainerin zur wertvollsten Spielerin des Tages gekürt. Bei sich dachte sie: »Ich bekomme die Auszeichnung nur, weil heute mein Geburtstag ist, ich habe sie eigentlich nicht verdient!«
Kurz vorm Einschlafen klingelte ihr Telefon. Es war ihre Mutter, die tagsüber vergeblich versucht hatte, ihre Tochter zu erreichen. Ihr erzählte sie von ihrem Tag. Ihre Mutter hörte aufmerksam zu und merkte, dass ihre Tochter nicht besonders glücklich schien.
Schließlich fragte sie: »Bist du eigentlich dir selbst eine Freundin?«
Die Tochter verstand nicht so recht: »Wie meinst du das?«, fragte sie.
»Na ja, wenn du mit einer Freundin so reden würdest, wie mit dir selbst, dann würde die Freundschaft keinen einzigen Tag halten.«